22.07.2021

Lehrer bedankt sich bei den Eltern

Das Impfen geht voran, Sonne macht uns Sommerlaune. Über all der Aufbruchstimmung lässt sich vergessen, welche harten Monate hinter uns liegen. Diese waren geprägt von Distanz - aber auch viel Solidarität. FOCUS Online veröffentlicht Briefe, in denen Menschen anderen Danke sagen. Diesmal: ein Lehrer.

 

Liebe Eltern,

es hat Sie getroffen, von einem Tag auf den anderen: Sie sind buchstäblich „Lehrerin oder Lehrer“ geworden. Aus Schule wurde Homeschooling, vor mehr als einem Jahr. Da hieß es plötzlich Schulen zu, Rechner an. Unterricht sollte digital laufen und Mütter und Väter mussten mit ihren Kindern lernen.

Niemand hat Sie darauf vorbereitet, weder technisch noch pädagogisch. Jetzt gehen die meisten Schüler wieder in die Schule. Präsenzunterricht ist wieder möglich. Endlich atmen viele Eltern auf. Darum möchte ich die Gelegenheit nutzen und mich bedanken. Ich bin Lehrer für die Fächer Deutsch, Kunst und Ethik an der Geschwister-Scholl-Schule in Bensheim (einer kooperativen Gesamtschule im Kreis Bergstraße, Hessen) und Sie haben uns Lehrkräfte in Deutschland tatkräftig unterstützt.

Sie haben in dieser Krisenzeit als Eltern wirklich Großes geleistet!Sie haben sich mit Ihren Kindern hingesetzt, Schulaufgaben gemacht und sich gleichzeitig auch noch um Ihren eigenen Job gekümmert. Sämtliche Unterstützung zum Beispiel durch Ganztagesbetreuung war weggefallen. Die Kinder hat man von heute auf morgen vom leider immer noch beliebten Frontalunterricht ins selbstorganisierte Lernen geworfen. Sie, liebe Mütter und Väter haben Ihre Kinder auf einem ganz neuen Methodenfeld begleitet.

Sie haben Ihren Kindern eine Perspektive gegeben

Ein erster wichtiger Punkt ist, dass Sie Ihren Kindern, eine Perspektive gegeben haben, dass – trotz der Krise -- eine gute Schulbildung weiter möglich ist. Damit nicht genug.

Ein zweiter wichtiger Faktor war, dass die Eltern sich natürlich als soziale Ergänzung gesehen haben. Sie haben versucht, den Kindern in der schwierigen Zeit auch einen Ausgleich zu bieten. Das ist ganz wichtig, weil sie diesen nämlich sonst auf dem Pausenhof oder nach der Schule mit den Freunden oder in Vereinen haben. Junge Menschen brauchen den sozialen Kontakt. Die Eltern haben viel versucht und unternommen, Kindern eine Möglichkeit zu bieten, trotz aller Distanzen wieder Hoffnung zu schöpfen. Sie sind selbst mit den Kindern in den Wald gegangen, haben Fahrradtouren gemacht oder das Kinderzimmer in einen Abenteuerspielplatz verwandelt. Sie haben von heute auf morgen so viele neue Rollen übernommen, waren nicht nur Eltern, sondern Lehrkräfte, IT-Spezialisten und Freunde-Ersatz.

Ein großes Lob möchte ich da vor allem an sozial benachteiligte Familien schicken. Die Eltern, die alles kompensieren wollten und kaum finanzielle Möglichkeiten hatten, haben eine Mammutaufgabe bewältigt.

Danke an die alleinerziehene, berufstätige Zweifach-Mama

Ich denke da zum Beispiel an die alleinerziehende und berufstätige Mutter mit zwei schulpflichtigen Kindern. Als eines der Kinder krank war, musste sie einerseits ihre Arbeitsstelle aufrechterhalten und sich gleichzeitig um die eigenen Kinder zu Hause kümmern. Das hieß morgens aufstehen, Frühstück machen, damit die Kinder nicht mit Chips dasitzen, ihre Kinder anziehen, das gesunde Kind zum Online-Unterricht vor den Rechner setzen, dafür sorgen, dass das Internet funktioniert, was natürlich unter anderem auf dem Land auch nicht immer so einfach ist. 

Das alles musste diese Mutter organisieren, bevor sie in den Berufsalltag starten konnte. Eine unheimlich schwierige Situation, die viele Alleinerziehende in Deutschland teilten.

Danke an die Familie der 16-jährigen Realschülerin

Ich denke außerdem an das 16-jährige Mädchen aus Polen. Sie war dabei innerhalb eines Jahres ihren Realschulabschluss nachzuholen und kam aus der Hauptschule. Dies allein ist schon eine große Herausforderung. Jetzt fand sich das Mädchen ausgerechnet in der Corona-Zeit zu Hause wieder und musste den kompletten Unterrichtsstoff eigenständig lernen.

Dann gab es noch ihre hochschwangere Mama, die das vierte Kind erwartete und kaum Deutsch spricht. Der Papa als Kraftfahrer musste arbeiten. Er war einer derjenigen, der dazu beitrug, dass in Deutschland die Supermärkte ihre Ware bekamen. Das bedeutete, dass die Schülerin alle Behördengänge der Familie zusätzlich zum eigenen Homeschooling mit übernehmen musste. 

Die Schülerin erkrankte zudem an Corona, bangte um die hochschwangere Mama, die sich ebenfalls infizierte und versuchte nebenbei durch Online-Nachhilfe von Grundschulkindern noch selbst etwas Geld zu verdienen, um ihre eigene Mathe-Nachhilfe bezahlen zu können. Unvorstellbar, aber wahr. All das hat nur funktioniert, weil die Familie und Freunde geholfen haben. Meines Erachtens muss man daher Familien loben, die in dieser Zeit nicht aufgegeben haben.

Eltern dürfen stolz auf ihre Kinder sein

Die Pandemie hat uns in Bezug auf das Thema Schule eine Sache ganz deutlich gemacht: Schüler, Eltern und Lehrer können gemeinsam und als Team mehr bewirken. Ich glaube, dass viele Eltern jetzt vielleicht auch den Mut gefunden haben, sich mehr in die Schulzeit der Kinder einbringen zu wollen – falls dies zeitlich oder beruflich möglich ist.

Sie (als Eltern) dürfen stolz auf ihre eigenen Kinder sein. Was die Kinder während der Pandemie erduldet und geleistet haben, ist enorm. Wir Erwachsenen haben in der Regel einen festen Alltag, Beziehungen und Hobbys. Wenn es für uns also schon schwierig war, sich zurückzuhalten und zu verzichten, wie war es dann erst für Kinder und Jugendliche, deren Alltag zum größten Teil die Schule ist? Das Knüpfen sozialer Kontakte, das Erlernen sozialer Kompetenzen lag bei den jungen Menschen unwiderruflich in ihrer Entwicklung brach.

Was wir alle mitnehmen ist Teamwork

Sie sehen, dass die Schule den Kindern eine tolle Möglichkeit bietet, dass auch Lehrer durchaus bereit sind, ihren Job ernst zu nehmen und sich sehr viel Mühe geben.

Das Wichtigste, was wir aus der Corona-Krise mitnehmen, ist Teamwork und dass Schule ebenfalls mehr ist, also nur eine einfache Bildungsstätte. Schule bedeutet Zukunft. Eine Zukunft für Kinder und demnach für unsere gesamte Gesellschaft. Danke an die Eltern, dass sie erkannt haben, dass es mit Teamwork für alle leichter wird. Wenn man einen gemeinsamen Konsens findet, hat man die Möglichkeit aus den Kindern etwas Großartiges zu machen, sodass Kinder das zeigen können, was in ihnen steckt.

Ihr Hauke Lerchl

Quelle: www.focus.de

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